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Titel
Arbeit am Beruf. Feminismus und Berufsberatung im 20. Jahrhundert


Autor(en)
Angehrn, Céline
Erschienen
Basel 2019: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
337 S.
Preis
CHF 56 / € 56,00
von
Lisia Bürgi, Neuere und allgemeine Schweizer Geschichte, Universität Bern

Ausgehend von der Feststellung, dass eine Berufsberatung mittlerweile fast standardmässig zu einer schweizerischen Schulkarriere gehört, geht Céline Angehrn in ihrer Dissertation der Frage nach, wie Feministinnen dieses Angebot im Laufe des 20. Jahrhunderts geformt haben und wie Berufsberatung letztlich «zu einem feministischen Projekt wurde» (S. 14).

Entstanden ist die Dissertation im Rahmen des zwischen 2012 und 2015 an der Universität Basel angesiedelten SNF-Forschungsprojekts «Differenzierungsarbeit. Aushandlungen von Arbeitskonzepten in Berufsberatung und Frauenbewegung (Schweiz, 20. Jahrhundert) », das sich aus historischer Perspektive mit geschlechtsspezifischen Ungleichheiten von Haus- und Erwerbsarbeit auseinandersetzte. Angehrns Studie deckt geografisch die deutschsprachige Schweiz ab und ist in drei chronologische Teile gegliedert, die sich, nach Jacques Revel, auf unterschiedlichen échelles befinden. Jeder der drei Teile rückt eine für den Zeitabschnitt exemplarische feministische Intervention ins Zentrum. Um der Vielfalt feministischen Handelns gerecht zu werden, wurde den drei genauer betrachteten Interventionen jeweils eine konträre feministische Perspektive gegenübergestellt.

Im ersten Teil stehen die zu Beginn der 1920er Jahre entstandene Zentralstelle für Frauenberufe in Zürich und damit die eigentliche Herausbildung, Ausdifferenzierung sowie Entwicklung von sogenannten Frauenberufen im Fokus. Die Trägerinnen dieses Projekts der bürgerlichen Frauenbewegung beteiligten sich aktiv an der Diskussion, unter welchen Bedingungen eine Tätigkeit als Beruf zu gelten habe. Sie waren aber auch um die Anerkennung von unbezahlter Hausarbeit von Ehefrauen als Beruf bemüht und thematisierten die Situation von sogenannt berufslosen Bürgertöchtern. Mit ihren Aktivitäten zementierte die Zentralstelle für Frauenberufe bewusst die Differenzierung zwischen qualifizierten Frauenberufen und unqualifizierter Fabrikarbeit.

Der zweite Teil folgt der fast 30 Jahre dauernden Tätigkeit von Martha Bieder, der ersten akademischen Berufsberaterin für Frauen in Basel, die bis Mitte der 1960er Jahre über den lokalen Kontext hinaus die Konzeption von Berufsberatung in der Schweiz entscheidend mitprägte. Bieders zentrales Anliegen war es, Gymnasiastinnen den Zugang zu Ausbildungen und später Erwerbstätigkeiten zu ermöglichen, die ihrer Ausbildung und gesellschaftlichen Stellung entsprachen. In ihren Augen waren dies insbesondere Berufe in Erziehung, Pflege und der sozialen Arbeit, wobei sie bei diesen – anders als bei typischen Männerberufen – die Trennlinie zwischen akademischen und nicht-akademischen Berufen unterstreichen musste. Im Sinne einer «Widerrede» (S. 181) legt Angehrn dar, wie Iris von Roten in Frauen im Laufgitter (1958) argumentierte, dass innerhalb der bestehenden und von Frauen wie Bieder reproduzierten Strukturen, allen Frauen, unabhängig ihres Status, Subjektwerdung und Anerkennung über den Beruf verunmöglicht werde.

Angehrn zeichnet im dritten Teil schliesslich nach, wie im Zuge der Institutionalisierung und gesetzlichen Verankerung von feministischen Ideen in den 1980er und 1990er Jahren die Gleichstellung der Geschlechter zum Leitmotiv der Berufsberatung wurde. Eine der zentralen Maximen dabei war, von der Unterscheidung zwischen Männer- und Frauenberufen wegzukommen. Im Zuge neoliberaler Politik sollten Frauen auch stärker als bis anhin in den Arbeitsmarkt einbezogen werden. Eine Folge davon war, dass Berufsberatung nicht mehr primär ein Angebot für Schulabgängerinnen darstellte, sondern sich nun auch an erwachsene Frauen richtete, die sich – teils als Wiedereinsteigerinnen – im Arbeitsmarkt weiterentwickeln sollten. Allen drei Teilen ist gemeinsam, dass neben der inhaltlichen Ausrichtung der Berufsberatung auch die Funktion, die Tätigkeit und das Selbstverständnis der Berufsberater*innen beleuchtet und eingeordnet wird.

Mit ihrer Dissertation ist Céline Angehrn eine äusserst überzeugende Forschungsarbeit gelungen. Die unterschiedlichen Perspektiven der drei Teile erlauben es, mit dem gesamten 20. Jahrhundert einen durchaus langen Zeitraum abzudecken. Die drei Teile wiederum werfen dank einer Menge facettenreicher Quellen – es handelt sich insbesondere um Archivalien der untersuchten Organisationen und beteiligten Personen – vielschichtige und detaillierte Schlaglichter auf eine jeweils im zeitgenössischen Kontext dominierende feministische Strategie. Die jeweils am Ende jedes Kapitels platzierten Gegendarstellungen überzeugen inhaltlich, auch wenn sie im Gegensatz zu den das Buch strukturierenden Hauptstrategien etwas gar prägnant und zugespitzt daherkommen. Zukünftige Forschungen werden nicht umhinkommen, auch im Zusammenhang mit feministischen Strategien in der Berufsberatung einen Blick über die Sprachgrenzen zu werfen. Anhand der insbesondere im zweiten Teil beleuchteten transnationalen Bezüge nach Deutschland, lässt sich schliessen, dass ein solcher Blick wohl spannende Einsichten und Erkenntnisse ermöglichen würde, sowohl in Bezug auf die kulturelle Orientierung an den Nachbarländern als auch zum Austausch von Ideen zwischen den schweizerischen Sprachgrenzen.

Abschliessend lässt sich festhalten, dass frauen- und geschlechtergeschichtliche Perspektiven, nicht zuletzt dank neuer feministischer Debatten und Bewegungen, keineswegs an Aktualität eingebüsst haben. Die Darstellung der feministischen «Arbeit am Beruf» – wie die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts wandelnden Strategien der weiblichen Berufsberatung im Titel passenderweise genannt werden – stellt hierfür ein sehr lesenswertes und für laufende Forschungsprojekte inspirierendes Beispiel dar.

Zitierweise:
Bürgi, Lisia: Rezension zu: Angehrn, Céline:, Arbeit am Beruf. Feminismus und Berufsberatung im 20. Jahrhundert, Basel 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 70 (3), 2020, S. 490-491. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00071>.

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